Donnerstag, 30. September 2010

Life is not measured by the number of breaths we take but by the moments that take our breath away. - Hilary Cooper

Zweiundvierzigkommaeinsnochwas Kilometer durch Berlin zu laufen, das war der Grund meines Berlin-Besuchs am vergangenen Wochenende. Ich hatte Mitte Mai ernsthaft mit dem Training begonnen, und bis auf drei mal eine Woche Pause (Urlaub, Gay Games und Krankheit) fleissig meine Trainingsumpfänge gesteigert. 30km konnte ich locker laufen, das wusste ich. Doch was würde danach kommen? Meine Hoffnung stützte ich komplett auf die "Wahnsinnsstimmung", die mir prophezeit wurde, und die wundersame Wirkung der klebrig süßen Powergels. Da es am Sonntag aber aus Kübeln goß und das Thermometer grade mal 13 Grad zeigte, war nicht mal Till Schweigers Hund auf der Strasse, wie er bei n-tv ins Mikro kicherte. Jubelnde, klatschende oder gar kreischende Menschen suchte ich lange. Bei Kilometer 21 gabs welche davon, und auch bei Kilometer 30, 33 und von km38 bis zum Schluss. Die tapferen, die an den Strassen standen, klammerten sich bibbernd an ihren Regenschirmen fest und suchten nach ihren Lieben. Ein Mensch radelte parallel zum Läuferstrom und schaute nach dem oder derjenigen, den es zu motivieren oder gar zu verpflegen galt. Plötzlich machte es *PENG*. Er hatte einen Laternenpfahl übersehen. Was in Köln stimmungstechnisch der Karneval ist, scheint in Berlin der Jazz zu sein. Alle 5km spielten Live-Bands und versuchten der Läuferschar rhythmisch einzuheizen. Bei mindestens 5 Jazzcombos bleibt mir das bis jetzt ein Rätsel. Jazz hat mit Stimmung so viel gemein wie Laufschuhe mit Pömps. Ob unter den Läufern besonders viele Plattenfirmenbosse waren, weiss ich nicht, aber so viele engagiert aufspielende junge Rockbands mit mir völlig unbekannten Kompositionen schienen darauf hinzudeuten. Die Marathonis selber waren in Berlin auch höchst individuell und hatten sich teilweise was ganz besonderes für diesen tollen Tag einfallen lassen. Rechnen die Leute eigentlich ernsthaft damit, dass jemand liest, was auf ihren Shirts steht? Fritz, Franz und Martina ist ja noch ok. Da kann man sie wenigstens mit Namen beschimpfen, wenn sie einem in die Hacken treten. Michael aus Bochum hatte am 26.09. Geburtstag und teilte dies jedem mit, der auf seinen Rücken schaute. Ich gratulierte ihm und er sah wenig begeistert aus. War auch schon bei Kilometer 32. Ein anderer hatte den unglaublich originellen Spruch "Für kürzere Laufzeiten" mit einem radioaktiv-Zeichen auf seinem Shirt. Als ein Fahnenträger - "Atomkraft nein Danke" stand drauf - zu ihm hinlief und sagte "Wir sehen und nächsten Monat im Wendland" wusste der mit der kürzeren Laufzeit gar nicht, was gemeint war. Verdutzt guckte er den mit der Fahne an und liess sich auf dem letzten Streckenabschnitt über seine Aufgaben als AKW-Protestler aufklären. Am Ende wurde es wahrscheinlich doch eine längere Laufzeit. Der Rest lief einfach im grünen Müllsack durch die Gegend und fand sich irgendwie toll. Die Sache mit den Powergels klappte schon ein bisschen besser als das mit der Wahnsinnsstimmung. Mein neues Startnummernband, das ich tags zuvor noch zum Schnäppchenpreis von 5 Euro auf der Marathonmesse erstanden hatte, umschloss die flutschigen Packs rechts und links an der Hüfte mit je zwei schlaufen. Als meine Nummer irgendwann einen merklichen Rechtsdrall bekam, zupfte ich sie erst einmal eine halbe Stunde lang brav in die zentrale Position unter dem Bauchnabel zurück. Schliesslich können die Fotografen mir ihre Schnappschüsse nur zuordnen, wenn meine Nummer lesbar ist. Als ich irgendwann zum ersten Gel griff, bemerke ich, dass sich eines bereits nach unten verabschiedet hatte. Nach dem Genuss des übrig gebliebenen, war die Balance wieder hergestellt und meine Nummer blieb artig vorne. Wer es noch nicht weiss: Die Gels halten nicht nur den Läufer auf Trab, sondern auch den Darm. Ich möchte mich an dieser Stelle bei den Anwohnern des Parks entschuldigen, in dem ich mich von meinen Problemen trennte. PowerBar reichte bei km 27 neue Gels in allen möglichen Geschmacksrichtungen. Da ich ohne meine Brille blind wie ein Huhn bin, erwischte ich Vanille. Vanille-Eis, Vanille-Pudding und Vanille-Sauce sind akzeptabel, aber Vanille-Gel kommt gleich hinter Vanille-Parfum. Trotz allem - nach 4 Stunden und 24 Minuten, 3 Powergels, 2 Bananen, ca.1 Liter Wasser und Isoplörre und 2 Vaterunsern überquerte ich die Ziellinie. Alles an mir war noch heile, mein Kopf war voll mit Eindrücken und Erlebnissen und der Stolz und die Freude überwiegten den stechenden Schmerz in den Obeschenkeln bei weitem. Leider blieb mir nur wenig Zeit zum Geniessen, denn die bittere Kälte entpuppte sich bald als ärgster Feind. Nur schnell weg unter die warme Dusche.

Auf dem Bild: Die wahre Zeit

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