Ein Sonntag im Oktober
Der Sonntag
begann, wie er endete. Skurril. Befremdlich. Verstörend.
Am nächsten Tag
waren die Zeitungen voll mit Lobeshymnen auf den abends zuvor ausgestrahlten
Tatort mit Kommissar Murot. Kluge Dichter und Denker wurden zitiert, vom
Befreiungsschlag des Deutschen Fernsehens war die Rede, große Töne wurden gespuckt
und eine ganze Zunft in den Himmel gelobt.
Was ich am Morgen
desselben Tages in Bezug auf „Himmel“ erlebte, stand in keinem Feuilleton.
Ich kehrte in
mein Heimatdorf zurück um den Sonntagsgottesdienst zu besuchen. Sechs Wochen
zuvor war meine Oma verstorben und zu ihrem Gedenken traf sich die Familie. Als
Kind und Teenager verbrachte ich mehr Stunden in dieser Kirche als manch einer
meiner Generation dies sein ganzes Leben lang tun wird. Ich kenne jedes Ritual
und bin sogar heute noch Textsicher bei den meisten Klassikern aus dem
Gotteslob. Ich stehe, sitze und knie wie ferngesteuert, weiß, wann die
Meßdiener wohin zu gehen haben und kann einigermaßen voraussagen, welche
Predigt dem Evangelium folgen wird.
Doch es sollte
alles anders kommen. Nach dem Evangelium (Jesus erzählt ein Gleichnis von einem
königlichen Hochzeitsmahl, Matthäus 22, 1-14) wurde ich aus meinem Trancezustand wach
gerüttelt. Das Evangelium endet damit, dass jemand von einer Hochzeit
rausgeschmissen wird, weil er ohne Hochzeitsgewandt erschienen ist.
Nach dem „Amen“ schaute
der Priester in die Runde der vor ihm versammelten Obermaubacherinnen und
Obermaubacher und fragt, „Wer war denn das, der da rausgewurfen wurde? Wofür
stand denn der?“ Die Frau vor mir, offensichtlich eine regelmäßige Kirchgängerin
(zu erkennen an dem mitgebrachten Sitzkissen) und mit dieser offenen
Fragetechnik vertraut, antwortete „Das waren wir“. Ein Mann von der anderen
Seite rief „Das war ein Ungläubiger“. Daraufhin resümierte der Priester, dass
das ja nicht sein könne – sowohl die einen als auch die anderen. „Ja wer denn
nun?“
Angstschweiß
brach aus meinen Poren und ich überlegte fieberhaft, wie ich dieser Fragerunde entkommen
könnte. Als allererstes Augenkontakt vermeiden. Abwesend wirken, nicht
bemerkbar machen. Dinge, die nicht einfach fallen, wenn man in dieser Gemeinde
vermutlich bekannt ist wie ein bunter Hund. Mit 18 in die Großstadt gegangen, studiert,
eine Frau geheiratet, dann auch noch ein Kind mit ihr bekommen. Bei knapp 100
Einwohnern spricht sich sowas schnell rum. Dann schaut mich dieser Priester
auch noch so schelmisch an, holt Luft und hört in diesem Moment wie ein
weiterer Mann trotzig einwendet, „das müssen Sie uns doch erklären!“
Danke! Der Priester lacht und erwidert, dass es so einfach ja nicht ginge und er gar nicht intelligent genug sei, das zu beantworten. Jetzt wird es spannend. Wer löst das Rätsel? Bin versucht, Google zu fragen. Oder einen Telefonjoker zu Rate zu ziehen. Vielleicht war ich es ja auch, die bei der Hochzeit nicht erwünscht war? Hier und jetzt wäre die Chance, der katholischen Kirche in Form dieses Priesters, mal ein paar Dinge zu sagen. Wie sie mit Homosexuellen umgeht.
Trau ich mich
aber nicht.
Dann ist die
Situation vorbei und der Priester erzählt was von steigenden Kirchenaustritten,
die er bedauert, vom Diebstahl des Opferstocks in der vergangenen Woche und von
Flüchtlingen, die man mit Freundlichkeit begrüßen soll. Wir sollen nett
zueinander sein, und nicht nur weise daher reden, sondern auch Gutes tun. Auf
einmal leitet er aus dem Evangelium so viele Botschaften ab, dass ihm auf seinem
Interpretations-Marathon fast die Puste ausgeht. Doch dann schaut er auf die
Uhr, merkt wahrscheinlich, dass es eng wird, wenn er pünktlich am Mittagstisch
sitzen will, und fährt mit dem nächste Punkt des Messeablaufs fort.
Ich bin ganz
schön erleichtert, als der Spuk vorbei ist und einfach nur noch langweilige
Lieder schlecht gesungen werden. Da bin ich wieder gerne dabei.