Freitag, 13. September 2019

Mutti auf Abwegen

Die Kids werden größer und ich fange so langsam aber sicher an, mich ab und zu auch mal wieder anderen Themen als Familienorganisation, Kindererziehung, Fußballmutti, Zickenalarmerdulderin, SCHULE (!!!!), Windeln, Schnuller und Co zu widmen. Klingt ganz schön vorsichtig, wie ich das formuliere, aber so ist es ja auch. Kein Kind ist von heute auf morgen erwachsen, und mich jetzt nur noch auf Konferenzen, Festivals und Yoga-Retreats zu tummeln wäre wahrscheinlich auf zu viel des Guten.
Ich bin immer noch ein bisschen geflasht von all den Eindrücken, die sich bei mir in den letzten Wochen angesammelt haben, aber in Summe tuts gut, mal wieder so richtig über den Tellerrand zu schauen.
Ich war in Essen beim WorkX-Festival 2019 (https://work-x-festival.de/). Super empfehlenswert. Entspanntes Publikum, tolle Vorträge, beeindruckende RdnerInnen und mein neues Lieblingswort "TeilgeberIn" wurde mir auf die Zunge gelegt.

Ich habe viel gelernt über Menschen, und wie sie ticken, über Fehlerkultur und Scheitern dürfen, übers Verantwortung übernehmen und habe Mut geschöpft darin, wieder mehr Glauben in die Fähigkeiten und Talente von Menschen zu haben als Methoden und Werkzeugen hinterher zu jagen. Denn nicht nur die Datenübertragung wird exponentiell immer schneller, auch die Sucht nach neuen Wundermethoden und das Verlangen nach neuen Machern oder auch Macherinnen (eher ja selten, vielleicht auch gut so, aber warum eigentlich nicht?), die ES schon richten werden.

Ich beschäftige mich mit solchen Inhalten schon ein wenig länger. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum es hier in letzter Zeit nicht so viel von mir zu lesen gab. Zuhören, Nachdenken, Reflektieren sind halt Dinge, die tut man nicht mal eben zwischen Spülmaschine ausräumen und Wäsche wegfalten.

Die Impulse, die mich in den letzten paar Monaten bis tief ins Innere berührt haben sind aber so nachhaltig, dass sie mich nicht nur im Arbeitsleben sondern auch privat aufwühlen, umkrempeln, inspirieren und teilweise auch beflügeln.

Klar, fallen einer beim Wort "Methode" gerne Stichwörter aus der Familie "Agile", "Lean" oder "Wasserfall" ein. Prozessoptimierung - boah...., das Buzzwort meiner ersten Schritte im Berufsleben. Wie sehr habe ich dies verinnerlicht und wie ein Dogma vor mich hingebetet. Heute findet man sogar Bücher zum Thema, wie wichtig die morgendliche Routine (also das, was man so nach dem Wachwerden tut, wenn man noch lange nicht im Büro ist) ist, und was man tun kann, um diese zu optimieren.
Ganz schön krass, wie uns das auch noch als heilsbringend verkauft wird. Und wenn dann noch ein prominenter Namensgeber wie Herr XY Supercool vom megaerfolgreichen Startup aus Berlin
verkündet, dass der regelmäßige Verzehr des selbsgemixten veganen Protein-Drinks um 4 Uhr morgens ungeahnte Kräfte Kreativität freisetzt, dann machen wir das nach. Würde mich nicht wundern, wenn Mister Supercool auch ein Buch geschrieben hat und morgen Abend in der NDR-Talkshow sitzt.

Was machen wir da eigentlich für einen Blödsinn? Haben wir kein Vertrauen mehr in unsere eigene Urteilskraft, in unseren eigenen Körper? Wenn ich Hunger habe, esse ich, wenn ich müde bin, mache ich eine Pause, wenn ich Bewegungsdrang habe, stehe ich auf und wenn ich mir etwas nicht klappt, versuche ich es halt noch mal, bis es irgendwann schon fluppt oder einfach egal ist.
Kein Kind hört auf das Laufen zu lernen, nur weil es schon 100 mal hingefallen ist.

Irgendwie ist das ja auch genau das, was Kinder als Rüstzeug für die Zukunft brauchen. Selber urteilen zu lernen und Verantwortung zu übernehmen. Zusammenhänge verstehen, sich eine Meinung bilden und aus eigenen Erkenntnissen eine Handlung ableiten - oder auch mal nicht zu handeln. Schweigen oder Nichtstun können ja durchaus sinnvolle Reaktionen sein, die uns Menschen oft auch intuitiv vor dem nächsten Blödsinn schützen.

Lars Vollmer hat einen sehr ergreifenden Vortrag gehalten, in dem er auch das Thema "Helikoptergesellschaft" ansprach. Wir kennen ja alle mitlerweile "Helikoptereltern" (oder sind gar welche), aber das wir das Muster der Paternalisierung inzwischen auch auf ganz viele andere Gesellschaftsbereiche anwenden, ist mir erst durch diesen Vortrag so richtig bewußt geworden. Die einen hauen immer wieder neue Wundermittel auf den Markt, die sie dann geschickt als Allheilmittel verkaufen, und die anderen hecheln genau dem hinterher, um sich und ihr Leben zu optimieren. Dabei kommt es extrem gut an, wenn einem glaubhaft erklärt wird, dass man genau wisse, was ich brauche.

Ich glaube, ich weiss das selber. Vielen Dank.

Fortsetzung folgt...