Daß hier in letzter Zeit so wenig steht liegt eher daran, daß so viel passiert, als daß es nichts gäbe worüber es zu schreiben lohnte. Ich bin in der glücklichen Lage aus einem vollen Topf unterhaltsamer Anekdötchen schöpfen zu können. Welcher international renommierter Schreiberling würde da nicht vor Neid erblassen und mir flugs das nicht enden wollende Weiß der vor ihm klaffenden realexistierenden Schreibhemmung zuschustern, auf das ich darauf ein Feuerwerk meiner fesselnden Geschichten entfache. Nun ist die Schlange der Gehemmten überschaubar und die Zeit, wahrlich großer Bangalen knapp bemessen, so daß ich mich auf die Erzählung eines kulturellen Highlights beschränke: Ein Abend mit Götz Alsmann und Band.
Götz Alsmann. Der Mann aus Zimmerfrei, der Bilderrätselerklärer, der Hausmusikanzettler,
der Christine-Westermann-Unterbrecher. Genau dieser Götz mit der tollen Tolle geht mit seiner Band auf Tournee und bespielt die Stadthallen der Republik mit einer Musik, die er als 'Jazz-Schlager' bezeichnet. Wir hatten vor, die Karten quasi abzuhören, so wie man Resturlaub abfeiert oder letzte schöne Herbsttage abgrillt. Sie kamen als Geschenk von guten Freunden aus München, die aus Gründen, die hier zu erklären zu kompliziert wären, nicht konnten und uns die Karten freundschaftlich überlassen haben. Ich muß jetzt mal dringend sagen, daß mich das total gefreut hat. Fand ich wirklich großartig. Ich muß aber auch sagen, daß ich keine Ahnung hatte, was Götz genau macht und deshalb natürlich nicht wusste, ob ich mir das 2 Stunden lang anhören möchte.
Nur eins wusste ich sicher: Er würde um 20 Uhr live auf der Bühne der Stadthalle in Mülheim stehen und nicht bei Christine im ZimmerFrei-Studio den Kaspar geben. Um 19:20 Uhr erreichten wir den Parkplatz besagter Halle. Beim Betreten des Foyers hatten wir Gewissheit, dass wir zwar nicht die ersten, aber deutlich die jüngsten sein würden. Scharen pensionierter Lehrer standen in Damenbegleitung Pilsglasschwenkend um die Säulen gruppiert. Da wir uns noch nicht auf unsere Premiumsitze in der zweiten Reihe fläzen konnten, bildeten wir ebenfalls eine Zweiergruppe und beäugten die Menschen um uns herum mit diesem gewissen Blick, der agentenmäßig jedes Detail abspeichert, um es bei der nächstbesten Gelegenheit mit dem Partner durch den brühwarmen Kakao zu ziehen. Senffarbenen Lederwesten, das silbrige Haar zum Zopf gebunden, Karosackos aus den 80gern, rote Leggings mit schwarzen Lederboots, starke Frauen umhüllende Mega-Ponchos um nur einige Opfer meines Blickes zu nennen.
Ich hatte Frau O. grade davon überzeugt, dass es besser sei, unsere Mäntel an der Garderobe abzugeben, weil man das eben so macht, da ertönte auch schon der Gong und die Masse setzte sich schluffend in Bewegung. Innerlich feierte ich noch meinen Triumph, in der Garderobendiskussion gesiegt zu haben, da watschelte auch schon ein starkes Pärchen auf die Plätze vor uns zu und verhüllte die roten Kunstledersessel mit ihren quietschgrünen Goretex-Jacken. Frau O. grinste mich mit diesem siegverkündenden "Siehste"-Blick an. Ich dreht mich instinktiv zu den tausenden hinter uns sitzenden Götz Alsmann Fans um und vernahm genüsslich und selbstgerecht, dass niemand, aber auch nicht ein einziger Mensch im ganzen Quadratkilometer großen Schlund der Mülheimer Halle gewagt hatte, einen Mantel oder eine Jacke mit hinein zu nehmen.
Um punkt 20:00 Uhr betraten Götz und seine Band die Bühne. 4 Männer, davon 3 sichtbar über 50. Okay, 2 schwungvolle Lieder zum Warmwerden, fürs Publikum zum Wachwerden, für Künstler und Publikum zum Beschnuppern und Reinkommen. Die leichte Verkrampfung in meinen Schultern löste sich allmählich. Ich musterte die Musiker, ihre Gesten, ihre Mimik, die Bewegung der Bongohände, die Farben der Vibraphonklöppel, die verdeckten Anweisungen von Götz an seine Band - und den
Fischgeruch, der aus der Kleidung meiner Sitznachbarn strömte. Der Rest ist schnell erzählt. Die betagten Herren hinter Schlagzeug, Baßguitarre und Vibraphon hatten mehr Blues als Rheuma in den Knochen und lenkten über 2 Stunden lang gekonnt und virtuos vom Grau und der Spießigkeit ihrer Anzüge ab.
Götz Alsmann ist ein begnadeter Schnellsprecher, der faszinierende Bongomann war auch irre lustig und ein Klavier ist ein Klavier ist ein großartiges Klavier. Es war ein toller Abend, ein wunderbares Konzert, ein Erlebnis, das wir so schnell nicht vergessen werden.