Mittwoch, 23. März 2011

Die Schieflage

Schiffe können drin sein, Menschen können drin sein und Themen können drin sein. Ja, sogar die ganze Welt kann drin sein. So wie zur Zeit, aber wenn man ehrlich ist, dann ist sie das immer. Rein physikalisch eiert unser Planet ja sowieso, was ich persönlich ganz gut finde, dann sonst hätten wir keine Jahreszeiten und Frühlingsgefühle wären uns genau so fremd wie eine ordentliche Herbstdepression. Offensichtlich tut uns ein bisschen Schieflage ja ganz gut und wie so mancher Klugscheißer schon zu Papier brachte, gibt’s ohne Tief auch kein Hoch, ohne Leid keine Freude, ohne Pech kein Glück. Die Titel der Bücher, in denen diese Weisheit in abertausend Seiten verpackt wurde erwähne ich hier aus Platzgründen nicht. Sie und ihre Autoren kann man jeden Freitag in diversen Talkshows der Dritten bewundern. Seit vielen Jahren bin auch ich in einer Schieflage. Seit einem Monat weiß ich davon. Mein Kiefergelenk hängt zu einer Seite mehr als zur anderen. Man stelle sich das so vor: Wenn ich den Mund zu einem breiten Grinsen öffne, so wie amerikanische Schauspielerinnen, wenn sie vor der Kamera posieren, dann teilt der imaginär vom linken zum rechten Ohr gezogene Strich meine Fresse in zwei ungleiche Hälften. Das ist nur für das geübte Auge bei genauem Hingucken sichtbar und stört im Alltag eigentlich überhaupt nicht. Ich bin in der Vergangenheit also weder durch verstärktes Sabbern oder Lispeln aufgefallen. Allerdings sind die Langzeitschäden an Nacken-, Schulter und Hüftmuskulatur äußerst schmerzhaft und auf Dauer kaum zu ertragen. Eine winzige Unwucht im Kiefergelenk hat über die Jahre bewirkt, dass der komplette Bewegungsapparat von Kopf bis Fuß in Schieflage geraten ist. Seit meinem Besuch bei einer begnadeten Physiotherapeutin weiß ich nun, dass ich einiges grade zu rücken habe. Ich tue das mit ihrer Hilfe (sie zerrt, knetet und rüttelt an mir) und der Unterstützung meines Zahnarztes. Der wiederum wurde ins Boot geholt um eine begradigende Beißschiene anzufertigen. Dazu bedurfte es zweier Abdrücke, die ich durch beherztes Beißen in eine rosafarbene Knetmatsche erzeugte. Das Zeug schmeckt nach Hubbabubba Erdbeer und ist auch sonst ganz widerlich. Seit einer guten Woche arretieren meine Zähne nun nachts in einer vorgegebenen Position und mein leidgeprüfter Körper kippt langsam von links nach rechts. Mitte kennt er noch nicht, aber das werde sich mit der Zeit einpendeln meint die Physiotherapeutin. Aktuell hab ich mehr Muskelkater und Verspannungen als jemals zuvor, aber das Wissen um Besserung stimmt mich optimistisch. Ich finde, es reicht, wenn die Welt in Schieflage ist. Ich möchte gerne im Einklang sein.

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