Mittwoch, 14. Januar 2009

Überholverbot

Der Schnee ist geschmolzen und die letzten Zwischen-den-Jahren-Urlauber sind mittlerweile an ihren Arbeitsplatz zurück gekehrt. Das Leben normalisiert sich wieder, die Rhythmen gleichen sich einander an, die graue Masse der Erwerbstätigen wabert in auf- und abebbenden Wellen zwischen Wohnung und Brötchengeber hin und her. Daß diese Masse überhaupt wabern kann, sich also zwischen zwei mehr oder weniger fest definierten Orten frei und ungezwungen bewegen kann, verdankt sie der Dehnbarkeit des Raumes. Platz zum Ausweichen wo immer man in diesen Zeiten geht und steht. Auch für die Gehetzten, die in Eile, die Rastlosen oder die sich die Zeit vertretenden - überall ist Raum in den Räumen. Ausser nach unten natürlich, da ist ja in der Regel der Boden in den man zwar versinken möchte, aber nicht versinken kann. Dramatisch anders war das, als die Stadt im Schnee versank.
Ausweichräume wurden mit Schnee zugeschaufelt, vollgepappt und weiß versiegelt. Kniehohe Schneedünen verstellten wie Mauern die Lücken auf den Gehwegen, Berge von überfrorenem Pappschnee versperrten die freien Flecken beim Warten auf Grün.
Am schlimmsten traf es die Radwege. Sie wurden komplett eliminiert und verschwanden unter einer schweigenden Schneedecke.

Ich war unterwegs zu einer Veranstaltung. Axel Hacke wollte aus seinen Büchern vorlesen, und ich wollte mir das mit ein paar hundert anderen Menschen anhören. Alle drifteten gleichzeitig in Richtung Eingang. Vor mir stapften die Gäste paarweise auf dem sehr schmalen schnee- und eisfreien Pfad. Sie gingen langsamer als ich. Doch so sehr ich auch vorbei wollte, es ging einfach nicht. Keine Überholspur, keine Haltebucht, kein Platz da. Ein Herr setzte seine Füße in langgezogenen Schritten bedächtig auf den Asphalt, die Frau an seiner Seite, bemüht sein Tempo zu halten, trippelte angestrengt nebenher. Ein junger Mann lenkte seine Energie in eine Art Wippbewegung um, eine korpulente Lady watschelte pinguingleich auf den Veranstaltungsort zu. Ich wäre gerne schneller gegangen als jeder einzelne vor mir, aber dazu hätte ich rechts oder links vorbei gemußt, und dazu hätte ich entweder durch eine Schneewand grätschen müssen oder mein Leben im Straßenverkehr gefährden.
Da ich weder naß werden noch sterben wollte passte ich mein Tempo den Vorgängern an. Dies gelang mir allerdings nur bedingt, da ich dazu auch meinen Rhythmus anpassen mußte. Entweder kleine schnelle Schritte oder große langsame. Dabei dann das klein ein bischen kleiner oder das langsam ein bischen langsamer - oder das schnell langsamer oder das goß kleiner. Während ich mich zunehmend in die Fänge eines Entscheidungs-Vierecks mit mehreren Unbekannten begab, überlegte ich noch kurz ob ich nicht doch lieber wenigstens nass werden wollte, kam die Menschenmasse vor mir zum Stillstand. Ich war angekommen. Eintreten, setzen, lauschen und hoffen, dass der Schnee bald schmilzt.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

der raum in den räumen und das entscheidungs-viereck! wieder einmal köstlich amüsiert bei deinen gedanken ist aber eine frage unbeantwortet: wie war's bei axel hacke und vor allem: ist der weisse neger wumbaba auch ein schneeopfer?
die comtessa

claribu hat gesagt…

Lustig wars bei Herrn Hacke. Der Mann ist sehr unterhaltsam. Schreibt schön und trägt fast noch schöner vor. Wumbaba war natürlich auch da. Er kam zur zweiten Hälfte. Ich finde übrigens dass er einem Schneemann ein bischen ähnlich sieht, was ja den Kreis irgendwie schliesst.