Dienstag, 9. Februar 2021

Moorleichenbad

Vor meinen Augen wabert eine braune modrig-müffelnde Brühe. Obenauf ziehen kleine Flöckchen wahllos ihre Kreise in der Wanne. Sie ähneln den Sahnehäufchen, die auf der Wasseroberfläche schwimmen, wenn man die Quirls nach dem Sahneschlagen vom Mixer abzieht und in eine Schüssel mit Wasser tunkt. Nur hier sind die Flöckchen nicht sahneweiss sondern schlammbraun. Umgeben von öligen Schlieren treiben sie vor meiner Nase und ziehen mich in ihren Bann. Während ich fasziniert von den Bewegungen der Moorschlammflöckchen vor mich hin träume und versuche herauszufinden, wie ich an den Titel des Ohrwurms komme, der mich seit Tagen nicht los läßt, vergesse ich beinahe, dass unter der Oberfläche ja noch etwas liegt. Ich nämlich. Meine Füsse, Beine, Arme, Bauch, Po - alles im Schlammbad. Umgeben von stinkender Brühe, durchtränkt von Wattwürmerpüpsen treibe ich und grüble, ob es so etwas wie „Shazam für Ohrwürmer“ gibt.

Da, plötzlich ein Klicken. Noch ein Klicken. Waren das die Schnapverschlüsse der Kühltruhe? Ich rufe die medizinische Badeassistenz um Hilfe, aber nichts als Stille.  Das Moor schweigt. Die Wärme des Bades weicht aus meinem Körper und ich erstarre vor Entsetzen. Treibt der Moormörder sein Unwesen jetzt auch im Kurbad? Was, wenn er es auf hilflose Kurgäste abgesehen hat, die seelenruhig in ihren Wannenbädern von besseren Zeiten träumen, von Sonnenuntergängen am Strand, Cocktails mit bunten Fähnchen und einem Leben ohne Haushalt und Rückenschmerzen? Während die Schockstarre in meine Glieder eindringt, sehe ich vor meinem inneren Auge, wie die Dame, die mir eben noch so freundlich das Bad eingelassen hat, in Stücke gehackt und in die Gefriertruhe gesteckt wurde. Nun ist der Weg frei zu mir. Da klackt es schon wieder. Brrrrrrrrriiiiiiiiinnnng. Der Wecker. Das Bad ist beendet. Ich öffne die Augen und starre erleichtert auf polierte Edelstahlarmaturen und beige Kacheln. Alles ist gut. Nicht schön, aber gut. Mir ist wieder warm. Ich spüre das Blut in meinem Körper, atme tief ein und erfreue mich am Duft des Muffs. Ich lebe noch. Die Kur kann weiter gehen. Auf dem Weg nach draußen rufe ich der Bademeisterin noch ein erleichtertes „Tschüß“ zu und verlasse das Haus Richtung Kurhaus. 

Keine Kommentare: