Quartalsbeginn
Ein grauer, frostig kalter Morgen in Düsseldorf. 7:45 Uhr. Ich stehe auf dem Bürgersteig vor der Tür zur Arztpraxis. Vor mir vier Frauen, hinter mir stehen seit ein paar Minuten auch schon zwei neue Patienten, die zum Doc wollen. Es ist der 04. April, zweiter Arbeitstag im Quartal.
Wir sind alle zu früh, damit wir eine Chance haben, früh dran zu kommen. Wer später kommt muss sich auf stundenlanges Warten einstellen. Und das will ja niemand. Schon gar nicht die rüstigen Rentnerinnen vor mir. Als endlich eine mies gelaunte Sprechstundenhilfe die Türe öffnet, ziehen sie sich mühsam am Treppengeländer hoch in den ersten Stock. Dort biegt die Patientenschlange scharf ab Richtung Empfang. Stau an der Anmeldung. Die beginnende Demenz hat sie ihr Kärtchen vergessen lassen. Endlose Minuten vergehen, in denen ein fettleibiger Bartträger seine Bazillen generös verteilt, die resolute Hausfrau vor mir den Weltrekord im Stöhnen einstellt und eine fiebrige Schülerin beinahe zusammenbricht. Mitleidsvolle Blicke fliegen der vergesslichen Omi zu, die jetzt den angestauten Wochenendfrust der Zicke am Empfang ausbaden muss.
Als ich endlich dran bin, fragt mich die Zicke, ob ich zum Doktor rein will. Ich verstehe, ob ich zu "Dr. Rein" wolle und da ich zum ersten mal bei DIESEM Arzt bin, der in meiner Erinnerung Dr. G. heißt, frage ich, ob es hier jetzt mehrere Ärzte gebe. Sie blafft mich an, "nein, hier sind Sie bei Dr. G. Wollen Sie zum Doktor rein?". Ich wieder, "wer ist denn jetzt Dr. Rein?". Sie öffnet ihren Mund und starrt mich an. "Überweisung oder rein?". Da verstehe ich endlich. „Rein“.
Im Wartzimmer sitzen schon mehr Menschen, als eben noch in der Schlange vor mir standen. Privatpatienten, alles klar.
Immerhin gibts hier ordentlich Schundheftchen. Frau im Spiegel, Das Goldene Blatt, Gala und die Sport Bild. Tief versunken in ein Interview mit Bayerns Thomas Müller erhole ich mich von den Strapazen der kassenärztlichen Datenverarbeitung. Da geht das Geschrei am Empfang so richtig los. Eine wild gewordene Frau schreit mit osteuropäischem Akzent die Empfangsdame an. Sie habe grade letzte Woche noch 10,- Euro bezahlt, sie zahle das nicht schon wieder. Sie wolle auch nicht warten, sie habe Termin. Die Zicke bemüht sich zwar, ihr das deutsche Gesundheitssystem, insbesondere den Quartalsbegriff näher zu bringen, aber es bleibt zwecklos. Mehrmals schallt ein lautes "Scheise, Scheise Scheise" (so spricht sie es aus) durch die Praxis, bis endlich der Chef mit wehendem weißen Kittel aufs Parkett tritt und die Streithälse beruhigt.
Dann bin ich auch schon an der Reihe. Schade, es war grade so lustig. Der Doc macht seinen Job gut. Die von mir ergoogelte Diagnose belächelt er höflich, gibt ein paar Tipps und überweist mich zum Fachmann.
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