Ich glaub, ich bleib dann einfach mal sitzen
Die vergangene Woche war mit Highlights nur so gespickt.
Erstens: Dieser unglaubliche Sommereinbruch. Was fällt diesem Wetter eigentlich ein? Wochenlang schien es nichts anderes als grau und kalt zu können und dann plötzlich legt jemand den Schalter um klickt einer auf "supersommersonnenschön". Meine tiefgefrorene Stimmung der vergangenen Wochen war im Nullkommanix ins Gegenteil verkehrt und all diese sommerlichen Attribute ploppten an die Oberfläche: Tatendrang, Kraft, Freude, Ausdauer, Leichtigkeit, und was da sonst noch so aus dem breiigen Sumpf ans Licht wollte.
Zweitens: So entschied ich mich - voller Tatendrang - zu einer Radtour nach Neuss. Musste eh hin, Teamevent. Waren ja auch nur 12 Km. Eine Distanz, die mir vor 6 Jahren noch ein müdes Lächeln abgerungen hätte. Aber die Zeiten sind vorbei und ich kann auch einer Radfahrt nach Neuss viel Schönes abgewinnen.
Das Teamevent sollte tun, was Teamevents üblicherweise so tun, uns einander näher bringen. Als Mittel zum "Näherbringen" hatte man allerdings vollkommen auf alkoholische Getränke verzichtet und sich stattdessen für die Kunst entschieden. So widmete ich mich einen wunderbaren Frühlingstag lang in Neuss' ältestem Haus ein paar Mal- und Bastelarbeiten. Es hat richtig Spass gemacht und ich konnte frisch inspiriert über den Rhein zurück nach Düsseldorf radeln. Der von mir gefertigte Portemonnaie Prototyp wird wahrscheinlich ganz knapp am Red Dot Designaward vorbeischrammen, und das im Stil Gerhard Richters gestrichene Farbpotpourri auf Holztafel könnte mal....ach ja. WTF
Drittens: Wobei ich beim nächsten Highlight der Woche wäre: Benjamin von Stuckrad Barre las aus Remix 3 im Düsseldorfer Zakk. Lange nicht mehr abends in Sachen Kultur unterwegs gewesen. Hatte völlig verdrängt, dass man in Düsseldorf gerne Kölnwitze macht und mußte mir da erst mal ein dickes Fell zulegen. Stucki war nämlich am Vortag in Köln aufgetreten und ließ keine Gelegenheit ungenutzt, seine Kölnerlebnisse breit zu treten.
War aber trotzdem gut. Beinahe hätte ich "geil" geschrieben, aber so ganz dieser Altersgruppe zugehörig, die dieses Wort ungestraft benutzt, fühlte ich mich nach Studium der Zuhörenden dieser Lesung nicht. Gefühlt konnte ich aber noch gut 80% Zugehörigkeit in mir nachspüren. Um dem Schmerz über den Verlust der 20% etwas entgegenzusetzen,wählte ich einen Platz ganz nah an der Theke, so dass ich auch während der Lesung unbemerkt Biernachschub organisieren konnte. "Unbemerkt" war aber an diesem Abend nicht so wichtig, wie ich schnell feststellte. Irgendwie wollte jeder auffallen und dem sich an sich selbst aufgeilenden Stuckrad Barre - was man aber nicht anders erwartet hatte - als besonders cool oder crazy oder werweisswas irgendwie besser als die Kölner ? zu erscheinen. Dass auf Stuckrad Barres Aufforderung auf die Bühne zu kommen und dort mit ihm zu rauchen gleich 8 Menschen aus dem Publikum angerannt kamen und sich eine Zigarette ansteckten war noch irgendwie ok, aber dass 3 von ihnen fast eine Stunde dort sitzen blieben und sich dem Autor anbiederten, irritierte mich doch.
Unter ihnen diese Pärchen, das Stuckrad Barres Eskapaden in seinem letzten Buch Panikherz nacheiferte oder seinem Charme dermassen verfallen war,
dass ihr Gebarden an 16-jährige Teenagermädchen auf einem Take That Konzert erinnerte.
Ich zumindest kam aus dem Fremdschämen nicht mehr heraus und mußte mir erst mal noch ein Bier holen, während er versuchte, zwei Zigaretten gleichzeitig
anzuzünden und derweil auch noch seine musenmäßig auf dem Bühnenboden kauernde Begleitung und den Autor selber zu bestaunen.
Zum Glück gelang es Stuckrad Barre diese beiden Wesen für einen kurzen Moment von der Bühne zu schütteln, doch bei nächster Gelegenheit kraxelte er
zurück an den Ort der Selbstinszenierung. Diesmal wollte er unbedingt Teil des großen ganzen Gruppenfotos der Gucci Gang werden, welches man
mitlerweile auf Instagram bestaunen kann. Ich blieb dann - angelehnt an den Buchtitel- erst einmal sitzen und entschloß mich, das Getue und Gehabe
der Instagram-Genaration zu belächeln.
Stucki übergab seinen Körper dann noch der johlenden Menge kreischender düesseldorfer Influencer Girls, und probierte Stagediving.
Ohne die muskelpepackten Boyfriends besagter Girls wäre wahrscheinlich sogar Stuckrad Barres federleichte Hülle auf den Boden der Tatsachen geplumst,
aber auch der moderne Mann kann nicht "nein" sagen, wenn es eine Chance gibt, den Frauen zu imponieren.
Stuckrad Barre las dann noch ein bisschen aus seinem Buch - ja wirklich. Dann sangen wir noch alle zusammen ein Lied von Robbie Williams (Angels)
und von den Toten Hosen (Alex) und fühlten uns unheimlich unbesiegbar. Campino is great, Köln doof und Frau Böttinger hatte gewiss schon hellere Momente als diesem einen Abend im Kölner Treff, an dem sie Stuckrad Barre fragte, warum denn in seinem Buch kaum Frauen vorkommen. Ich habe meine Zweifel, ob Stucki und Betty noch eine große Freundschaft bevorsteht, aber im deutschen Popliteraten und Medienschaffenden Universum weiss man ja nie.